Die Reutlinger Leselern-Paten sind jetzt auch Arbeitgeber

von Dr. Gabriele Böhm (GEA)

Der Verein der Reutlinger Mentor-Leselern-Paten ist auf rund 400 Mitglieder angewachsen, die rund 500 Schülerinnen und Schüler beim Lesenlernen fördern. Deshalb werden jetzt mithilfe von zwei hohen Spenden zwei Verwaltungskräfte eingestellt.

REUTLINGEN. Einen weiteren Meilenstein haben die Mentor-Leselern-Paten Reutlingen erreicht. Heinz Gerstlauer, Vorsitzender der Lechler-Stiftung, übergab eine Spende von 170.000 Euro. Sie kommt hälftig von der Lechler-Stiftung und der Helene-Pfleiderer-Stiftung und ermöglicht die Einstellung von zwei Teilzeitkräften. Prinzip des Vereins ist, dass Ehrenamtliche in Schulen gehen und dort in Einzelbetreuung mit Schülerinnen und Schülern Lesen und Leseverständnis üben.

»Die Organisation der Leselern-Paten wurde 2010 als Projekt der Stadt Reutlingen in der Abteilung Stabsstelle Bürgerengagement gegründet«, blickt deren Vorsitzender Stephan Kurz zurück. Durch den verstärkten Zustrom von Flüchtlingen ab 2014 sei die Stabsstelle in diesem Bereich stärker engagiert gewesen, die Leselern-Paten gerieten in den Hintergrund. Neuen Schwung bekam die Organisation, als Kurz 2016 die Leitung übernahm. »Der Philosoph Richard David Precht als Schirmherr des Mentor-Bundesverbandes hatte damals zur Gründung regionaler Vereine zur Leseförderung angeregt.«

Mitgliederschwund durch die Pandemie

Am 6. Oktober 2016 wurden die Leselern-Paten als Verein mit 33 Personen ins Leben gerufen. »Die damalige Geschäftsstelle befand sich noch in unserem Wohnzimmer«, so Kurz. Doch schon bald war die Mitgliederzahl auf 150 angewachsen, sodass man 2019 in die Geschäftsstelle in der Kaiserstraße wechselte. Ermöglicht wurde dies durch eine Spende der Lechler-Stiftung von 20.000 Euro sowie eine anonyme Spende in derselben Höhe.

Die Pandemie erzeugte Mitgliederschwund, wobei gleichzeitig der Bedarf an Förderung wuchs. »Heute weiß man, dass Kinder bis zu einem Jahr an aktiver Schulzeit verloren haben«, so Kurz. Aktuelle Studien zeigten, dass fast ein Viertel aller Viertklässler die Mindestanforderungen im Fach Deutsch nicht mehr schafften. Nach der Pandemie gelang es dem Verein 2022, über 70 und ein Jahr später sogar über 100 neue Mitglieder zu gewinnen. Knapp 400 sind es derzeit, das Durchschnittsalter beträgt 61 Jahre.

Alle Mitglieder, die Kinder betreuen, müssen ein aufwändiges Anwärterverfahren durchlaufen, zu dem unter anderem das Kinderschutzkonzept gehört. Der Verein hat ein hohes Verantwortungsbewusstsein. »Wir prüfen unsere Mitglieder durch Interviews. Sie müssen hospitieren und regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen«, berichtet die Zweite Vorsitzende Christiane Seemann. Diese Anfangsphase dauere oft ein Vierteljahr. Einem Einführungskurs folgten Weiterbildungen, in dem es unter anderem um den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern gehe. »Wir betreuen aktuell 500 Kinder an unterschiedlichen Standorten.« Doch der Bedarf sei dreimal so groß.

Das Ehrenamt entlasten

Alles müsse organisiert werden, man sei immer in der Weiterentwicklung. Auch würde man gerne gelegentlich, beispielsweise durch Ausflüge, den Ehrenamtlichen für ihre Arbeit eine Freude machen. Manche betreuten bis zu zehn Kinder pro Woche. »Deshalb brauchen wir jemanden, der uns bei den Verwaltungsarbeiten den Rücken freihält«, so Kurz. Der Vorsitzende ging auf Heinz Gerstlauer zu und erhielt Hilfe, die vom Verein mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. »Man muss bei einer solchen Vereinsgröße und Schüleranzahl das Ehrenamt entlasten und administrative Aufgaben professionalisieren«, sagte Gerstlauer. »Wir sehen unser Geld gut angelegt.« Die Lechler-Stiftung stehe der Evangelischen Landeskirche sehr nahe und verstehe sich als Partner sozialer Vereine.

Durch die beiden Spenden, so Kurz, sei es nun möglich, zwei Teilzeitkräfte einzustellen. 15 Bewerbungen sind eingegangen. Aktuell laufen die Bewerbungsgespräche, die der Vorstand als »sehr vielversprechend« bezeichnet.

Die Spendengelder sollen bis etwa Mitte 2027 reichen. Für eine Dauerfinanzierung wolle man das Projekt mit dem »Bündnis Lesen«, ein Corporate Financing Programm für Reutlinger Unternehmen, fortführen. »Die Ziele des Vereins sind der ideale Baustein für das Nachhaltigkeitssystem von Unternehmen«, sagte Kurz. (GEA)