Pressegespräch im November

»Leselern-Paten« in Reutlingen: Ein Ehrenamt, das glücklich macht

REUTLINGEN. Seit dem Jahr 2016 unterstützt der Verein »Leselern-Paten« besonders hilfsbedürftige Grundschüler beim Erlernen ihrer Lesefähigkeit. Doch die Lesekompetenz bei Grundschülern geht derzeit dramatisch zurück, und die Nachfrage von Schulen nach Lesepaten steigt. Deshalb lautet der Appell des Vereins: »Wir brauchen Förderer und mehr Lesepaten!« Nicht nur, weil ein höherer Bildungsabschluss die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöht, ist Bildung eine zentrale Investition in die Zukunft. Ein hoher Bildungsstand trägt auch zu einer besseren gesellschaftlichen Teilhabe bei und gilt neben der Energieversorgung als der Wachstumsmarkt der Zukunft.

Doch eine gerade veröffentlichte IQB-Studie zu den aktuellen Bildungstrends 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass die Kompetenzen der Viertklässler in Mathematik und Deutsch gegenüber den Studien aus 2016 und 2011 nicht nur schlechter geworden sind, sondern dass sich der Negativtrend sogar noch verstärkt hat. Es gäbe bundesweit rund 50 000 Schulabbrecher im Jahr und gerade bei der Lesekompetenz ermittelte die IQB-Studie »eine signifikante Verschlechterung«, so der erste Vereinsvorsitzende Stephan Kurz beim Pressegespräch.

»Wir sehen, dass Förderung ohne Leistungsdruck geht«

Stephan Kurz, 1. Vorsitzender

So habe die Lesekompetenz in den letzten fünf Jahren bundesweit um 4,7 Prozent abgenommen und den Mindeststandard beim Lesen hätten 18,8 Prozent der Grundschüler verfehlt. Baden-Württemberg, das vor einigen Jahren neben Bayern noch als Musterbildungsland galt, steht mit 19,1 Prozent gegenüber dem Bundesdurchschnitt sogar noch schlechter da: »Das Dramatische an dieser Entwicklung ist, dass Baden-Württemberg längst im unteren Drittel bei der Lesekompetenz angelangt ist«, betont Stephan Kurz. Auch in Reutlingen sieht es nicht viel besser aus: »Rund 1 600 Grundschulkinder erreichen hier nicht den durchschnittlichen Lesestandard«, so der Vereinsvorsitzende. »Die Kinder sind auf Unterstützung angewiesen, die die Schulen nicht mehr leisten können.«

Der Verein Leselern-Paten bietet zwar nach Kräften diese Unterstützung, kann jedoch den großen Bedarf nicht abdecken. Momentan führt der 335 Mitglieder starke Verein sein kostenfreies Förderprogramm an 33 Grund- und Gemeinschaftsschulen im Stadt- und Landkreis Reutlingen durch und erreicht mit 183 aktiven Leselern-Paten 275 Kinder. Das bedeutet, dass in der Achalmstadt rund 1 325 Kinder nicht gefördert werden können, da es an Paten fehlt. Der Grund: Im Laufe der Pandemie haben sich einige aktive Leselern-Paten zurückgezogen, was die Situation angesichts der Zunahme von Migrantenkindern noch dramatischer macht: »Wir brauchen unbedingt mehr Lesepaten«, appelliert auch die zweite Vorsitzende Christiane Seemann an Ehrenamtliche, die einmal pro Woche während der Schulzeit eine Schulstunde lang nach dem »eins zu eins Prinzip« eine Leseförderung durchführen können.

Die Kinder werden von den Schulen ausgesucht, um das Lesen und das Leseverständnis in einer persönlichen, spielerischen Atmosphäre zu erlernen beziehungsweise zu verbessern. »Die geförderten Kinder sind immer sehr stolz über ihre Lernerfolge, und wir sehen uns bestätigt, dass die Förderung ohne Leistungsdruck funktioniert«, so Stephan Kurz. Was es nun braucht, sind weitere Förderer sowie »Bürgerinnen und Bürger, die als Mitglieder in unserem Verein die Förderung dieser Kinder leisten«. (GEA, Jürgen Spieß)

SO FUNKTIONIERT’S
Leselern-Pate werden und Kindern helfen
Die ehrenamtliche Tätigkeit als Leselern-Pate kann nach einer Schulung jeder übernehmen. Zu Beginn der ehrenamtlichen Tätigkeit erhält jeder angehende Pate einen sechsstündigen Einführungskurs und ein von Leselern-Paten erstelltes Handbuch, das unter anderem auch auf eigenen Erfahrungen der Paten aufbaut. Zudem werden regelmäßig Fortbildungen und Treffen für die Lesepaten angeboten, um den Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb des Vereins zu stärken. Die Paten verpflichten sich, ein zu betreuendes Kind ein Jahr lang einmal in der Woche für eine Stunde zu unterstützen. Der Zeitpunkt der Lesestunde findet während der Schulzeit statt und wird von der Schule bewusst gewählt, sodass das Kind keine wichtigen Unterrichtsinhalte verpasst. (jüsp)