Spielerisch an Bücher und Sprache heranführen

Laut aus einem Buch vorzulesen und dabei einen aufmerksamen, geduldigen und freundlich korrigierenden Zuhörer zu haben, stärkt das Selbstvertrauen von Kindern ungemein. Ehrenamtliche Lesepaten, die Grundschulkindern beim Lesenlernen helfen, gibt es in Reutlingen schon seit 2010. Jetzt wurde die Gruppe als neugegründeter Verein an die deutschlandweite Initiative „Mentor“ angeschlossen. Am Mittwoch stellten Stephan Kurz und Anke Bächtiger, erster und zweiter Vorstand, die „Mentor – Leselern-Paten Reutlingen“ im Alten Rathaus vor.

Ins Leben gerufen wurde die Initiative durch die ehemalige Gymnasiallehrerin Gudula Afanasjew, die als pädagogische Beratung und Ansprechpartnerin für die Einarbeitung der Paten zur Verfügung stehe, wie Anke Bächtiger berichtete. Die Leiterin der Stabsstelle Bürgerengagement betreute zunächst das Projekt, das sich, auch dank zahlreicher Spenden, so ausweitete, dass die Verantwortlichen an ihre Kapazitätsgrenzen stießen.

Immerhin betreuen zurzeit 86 ehrenamtliche Leselernpaten mehr als 130 Kinder an neun Grundschulen. Als glücklicher Impuls von außen sei 2016 Stephan Kurz hinzugekommen. „Meine Frau und ich sind große Bücherfans. Als wir von den Leselernpaten erfuhren, waren wir sofort begeistert“, so der Unternehmensberater, der die Initiative von da an unterstützte. Der Verein wurde gegründet und in das bundesweite Lesepaten-Netzwerk „Mentor“ eingebunden. „Dadurch haben wie die nächste, professionellere Stufe erreicht“, sagte Kurz. „Durch den Bundesverband bekommen wir einen ganz anderen Background und gewährleisten die Kontinuität. Es gibt Schulungen, fachliche Begleitung, eine Fülle von Material.“ Der Verein bringt außerdem einen Newsletter und Flyer heraus und baut eine Website auf. Und natürlich können auch Spendenbescheinigungen ausgestellt werden. „Wir finden uns gerade“, fasst Anke Bächtiger zusammen. Die Mitgliedschaft kostet 24 Euro im Jahr und ist für die Leselernpaten kostenlos.

Die Paten seien vor allem Ruheständler, denn das Vorlesen findet am Vormittag während einer Schulstunde statt. „Das Kind wird aus dem Unterricht herausgenommen und übt Lesen unter der Aufsicht eines Erwachsenen.“ Das alles geschähe ohne Druck und Noten, aber mit viel Spaß. Nicht selten entstehe bei der generationenübergreifend angelegten Initiative ein fast familiäres Großeltern-Enkel-Verhältnis. „Die Kinder gehen in Absprache mit den Lehrkräften sehr gerne zu dieser Lesestunde. Für viele ist es außergewöhnlich, eine Stunde lang die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Erwachsenen zu bekommen.“ Die Paten hören zu, beantworten Fragen, erklären, korrigieren die Aussprache oder fragen nach, ob das Kind den Buchinhalt verstanden habe.

„70 Prozent der Kinder haben Migrationshintergrund, verstärkt kommen Flüchtlinge hinzu“, berichtet Bächtiger. Das Lesen sei auch eine integrative Maßnahme, um Deutsch zu lernen. Alles geschehe spielerisch und mit einer Vertrauensperson, die das Kind stärke. Als Nebeneffekt würden die Kinder auch motiviert, ein Buch zur Hand zu nehmen. Als Belohnung bekommen die Kinder nach einigen Stunden einen Büchergutschein. All das wirke sich positiv auf die gesamte Schulleistung aus. Weitere Schulen sollen als Partner gewonnen werden. Aus Anlass der Vereinsgründung findet am Donnerstag, 9. Februar, um 19 Uhr im Spitalhof am Marktplatz unter dem Motto „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“ ein Festabend mit dem Autor Dr. Peter Prange statt, der allen Interessierten offen steht.

Info: Weitere Informationen im Internet unter www.leselern-paten.de

© Gabriele Böhm, Reutlinger Nachrichten, 3.2.2017